Kurzer Auszug aus: Rita Haub, Die Geschichte der Jesuiten (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2007), 26-35
– allein für pädagogische Zwecke, nicht zum kommerziellen Nutzen.
Der Name Jesu steht im Zentrum
1. Der neue Zusammenschluss des Ignatius und seiner ersten Gefährten fügte sich nicht bruchlos in die Reihe der traditionellen Orden ein. Zum ersten Mal entstand eine Form des christlichen Gemeinschaftslebens, die ganz von den Forderungen des Apostolats her geprägt war. Der Dienst am Nächsten war nicht bloß eine Tätigkeit unter anderen, sondern das Grundanliegen, dem die ganze Lebensform zu dienen hatte. Um besser den apostolischen Arbeiten nachgehen zu können, wurden das gemeinsame Chorgebet,ein bestimmtes Ordenskleid und verpflichtende Bußübungen abgelehnt. Dem gleichen Anliegen diente die straffe Organisation und die lange Ausbildung der neuen Mitglieder.
Die Losung (das Motto), Gott in allen Dingen finden, zielte auf ein Wirken inmitten der Welt, also nicht wie bislang in mönchischer Klausur. Mit ihrer Gelehrsamkeit und Weltläufigkeit wollten die Jesuiten in den stürmischen Zeiten des Umbruchs den Glauben verbreiten. Ein sehr wichtiger Teil ihres Konzepts war die Heranbildung qualifizierter Priester und die Erziehung der Jugend. Der ganze Orden war der Versuch, für ein methodisches Apostolat eine entsprechende Gemeinschaft zu schaffen, in der sich Eigeninitiativen im Rahmen des Ganzen entfalten lassen.
Die enge Bindung an den Papst, die sich bis heute in einem besonderen Gehorsamsgelübde konkretisiert, war von Anfang an ein Kennzeichen des Ordens. Sie ergab sich ebenfalls aus den speziellen Forderungen eines weltweiten Apostolates. Da die Gruppe um Ignatius ihre Tätigkeit nicht auf eine Diozese oder ein Land beschränken wollte, musste sie sich an jemanden wenden, der eine Übersicht über die ganze Christenheit hatte und der ihnen die nötigen geistlichen Vollmachten geben konnte. Dafür kam nur der Papst in Frage. So gewannen sie durch diese enge Bindung am besten freie Bahn für ihre weltweiten Pläne und waren nicht mehr von den Überlegungen der Bischelfe abhängig.
2. Ignatius von Loyola lebte in einer Zeit, in der die Kirche sich in einer inneren Auflösung befand. Er war davon überzeugt, dass die Reform der Kirche nur von innen her erfolgen kann, aus einer vertieften Frömmigkeit und Christusbegegnung. Die Idee seiner Ordensgründung war neu: Nicht Abkehr, sondern Hinwendung zur Welt, um sie für Gott zu gewinnen; die größere Ehre Gottes, für die er alle Mittel, die gut und geeignet sind, einsetzte. In den Ordensregeln steht ein Satz, dessen Kern die Worte enthält: diversa loca peragrare. Der ganze Abschnitt lautet, dass es die Berufung der Jesuiten ist, in jedweder Gegend der Welt unterwegs zu sein und das Leben zu führen, wo mehr Dienst für Gott und Hilfe für die Seelen erhofft wird. An anderer Stelle wird darauf hingewiesen, dass die Mitglieder dieser Gesellschaft zu jeder Stunde bereit sein massen, in diesen oder jenen Gebieten der Welt unterwegs zu sein, wohin sie vom Papst oder ihrem Oberen geschickt würden. Dies erscheint wie eine ignatianische Alternative zur benediktinischen “stabilitas loci”. Die Ortsgebundenheit des Benediktinermönches hatte Auswirkungen auf die Frömmigkeit und den Lebensstil. Vor allem auf den Rhythmus zwischen Gebets- und Arbeitszeiten. Ähnlich auch die Anweisungen des Ignatius, diversa loca peragrare, das heißt, die Menschen auf den Straßen der Welt zu begleiten.
Die Gesellschaft Jesu, die 1534 als ein Bund von sieben Freunden begann, nahm einen raschen Aufstieg. Dank des starken Zulaufes begabter junger Männer in fast allen Ländern gelang es ihr, eine neue Missionsbewegung einzuleiten und ihre Mitglieder in verschiedenen Orten der Welt einzusetzen. Sie traten selbstbewusst auf, beschritten mit erstaunlicher Dynamik neue Wege, verstanden es, sich den verschiedensten Situationen anzupassen und die geeigneten Mittel zu gebrauchen. Als Ignatius starb, zählte der Orden bereits 1000 Mitglieder und besaß über 100 Niederlassungen.
3. Der erste Grundsatz des Jesuitenordens ist der Leitspruch des Ignatius: Ad maiorem Dei gloriam (zur größeren Ehre Gottes). Darin ist die Dynamik des Magis, des Je-mehr, zusammengefasst, die die Quelle der ignatianischen Spiritualität bildet. Die historischen Quellen waren die Regeln des kastilischen Ritterordens “Caballeros de la Banda”, die an manche Verhaltensformen und Handlungsstil des Ignatius erinnern. So sollen Mitglieder wenig sprechen, und das, was sie sagen, soll wahrheitsgetreu sein. Man soll Rat Weisen und Gelehrten suchen und sich von begleiten lassen. Bei Verwundungen soll nicht wehklagen und sich wegen Heldentaten nicht Loblieder singen lassen. Außerdem das Verlangen nach höheren und besseren Großtaten, das sogar mit einem más (je-mehr) ausgedrückt wird, betont.
Der Dienst, den Ignatius und die Mitglieder Jesuitenordens der Kirche leisten wollen, soll ein Dienst ad maiorem Dei gloriam, zur größeren Ehre Gottes sein, der zum größeren Einsatz für Glaube und Gerechtigkeit führt. Von großer mystischer Begabung und Härte stellt der Ordensgründer alle Regelungen der menschlichen Seele unter diesen seinen Wahlspruch. Und auf allen Seiten seines Ordensgesetzes steht geschrieben: Omnia ad maiorem Dei gloriam. Dieses Leitmotiv Jesuiten zielt seit jeher darauf, den besonderen Einsatz im Apostolat stets im Bewusstsein zur größeren Ehre Gottes zu vollbringen.
Geist und Kraft seiner Gemeinschaft lagen verborgen im Buch der “Geistlichen Übungen”. Der Text des Exerzitienbuches war seit den Erfahrungen von Manresa und Paris im wesentlichen festgelegt, aber noch in den römischen Jahren feilte Ignatius ais unerbittücher Kritiker seiner selbst weiter daran und ließ es 1546 in ein schönes Latein übertragen. Viele Gedanken sind nicht neu. Schon der Kircheniehrer Augustinus dachte über das Verhältnis von Gottesstaat und Weltreich nach. Aber im Unterschied zu ihm ging Ignatius diese Frage nicht spekulativ an, sondern pragmatisch: Was ist zu tun, dass sich das Reich Gottes durchsetzt? Ignatius legt Wert auf die Beobachtung der Seelenregungen und auf die Unterscheidung der Geister. Die “Geistlichen Ubungen” betonen die Haltung der Indifferenz: Der Exerzitant soll von allen ungeordneten Neigungen frei werden und lernen, alle Lebensbereiche zu ordnen. Er soll sich sammeln und fern von aller Zerstreuung in einer wohlhdurchdachten Folge von Gebeten und Betrachtungen zu sich selbst kommen und sich klar werden über das Ziel des Daseins und die eigenen Absichten.
Als gegen das Exerzitienbuch vor allem in Spanien Kritik laut wurde, gab Paul III. diesem weltverändernden Buch am 31. Juli 1548 durch das Breve “Pastoralis officii cura” seinen Segen. Es ist dies ein seltener Fall der Kirche, dass ein Buch durch ein päpstliches Breve beglaubigt wird.
4. Seit der Wahl zum Generaloberen lastete auf Ignatius auch die Aufgabe, für den Orden Satzungen zu verfassen. Sie nahm ihn während seiner ganzen Amtszeit in Anspruch. Erst mit seinem Tod war das Wert abgeschlossen. Die erste “Formula Instituti” definiert die Gesellschaft Jesu als eine Gesellschaft, die vornehmlich dazu errichtet worden ist, um besonders auf die Verteidigung und Verbreitung des Glaubens und den Fortschritt der Seelen in christlicher Lehensführung und Lehre abzuzielen durch öffentliche Predigten, Vorträge und jedweden anderen Dienst des Wortes Gottes und die Geistlichen Übungen, die Unterweisung von Kindern und einfachen Menschen im Christenturn, die geistliche Tröstung der Christgläubigen durch Beichthören und die Verwaltung der übrigen Sakramente. Sie wurde von Papst Paul III. am 27. September 1540 in die Bulle “Regimini militantis ecclesiae” aufgenommen. Am 21. Juli 1550 bestätigte Papst Julius III. eine überarbeitete Fassung der “Formula Instituti”. Im Jahr 1552 lag ein erster Entwurf der vollständigen Satzungen vor. Als Ignatius 1556 starb, kannten und billigten alle damals lebenden Ordensmitglieder die Satzungen, so dass sie 1558 von der ersten Generalkongregation nach einigen Änderungen in Kraft gesetzt werden konnten.
Die Satzungen (“Constitutiones”) sind das Grundgesetz und zugleich die Lebensregel der Mitglieder des Jesuitenordens. In zehn Hauptteile gegliedert, ordnen sie die Prinzipien und Gesetze des Ordens in einem dynamischen Prozess von der Auswahl und Aufnahme neuer Mitglieder bis hin zu den Bestimmungen über die Ordensleitung. Vorangestellt ist das “Examen generale”, das einerseits denen eine Hilfe bieten sollte, die für die Aufnahme neuer Gefährten verantwortlich waren, um die Berufseignung der Kandidaten zu prüfen; andererseits wollte es den Kandidaten selbst eine erste Orientierung über den Orden geben.
Die zehn Teile folgen in ihrem Aufbau nicht einem logisch-systematischen Prinzip, sondern sie begleiten den Gefährten auf seinem Werdegang im Orden: Der Erste Teil handelt von der Aufnahme und der damit verbundenen Eignungsprüfung. Der Zweite Teil bildet das Gegenstück dazu und legt Grundsätze für die Entlassung der Ungeeigneten fest. Der Dritte Teil ordnet die Prufungszeit und enthält Grundsätze zur geistlichen Formung, die auch das kommende Leben tragen und prägen sollen. Der Vierte Teil regelt die wissenschaftliche und apostolische Ausbildung und zeichnet Grundlinien zu einer kommenden Studienordnung. Der Fünfte Teil legt die definitive Zulassung zum Orden in den Gelübden der Professen und Koadjutoren fest. Der Sechste Teil umschreibt die Verpflichtungen, die mit den Gelübden eingegangen werden; ausführlich spricht er von der persönlichen und der gemeinschaftlichen Armut und vom Gehorsam. Der Siebte Teil, das Herzstück der Satzungen, hat die apostolischen Sendungen durch den Papst und den Oberen der Gesellschaft Jesu zum Thema und entwickelt Prinzipien für die immer neu fällige Auswahl der Felder und Methoden des Apostolates. Der Achte Teil ist der Gemeinschaft gewidmet. Er handelt zuerst vom Geist, der sie tragen soll, dann von den offiziellen Versammlungen, vor allem von der Generalkongregation, die die höchste Instanz des Ordens bildet und die Vollmacht zur Gesetzgebung und zur Wahl des Generaloberen besitzt. Der Neunte Teil regelt die Leitung des Ordens und zeichnet das ideale Bild des Generaloberen. Der Zehnte Teil enthält Grundsätze, wie dieser ganze Leib [der Gesellschaft] in seinem guten Stand bewahrt und gemehrt werden soll. Die Satzungen sind in untrennbarer Einheit Organisationsstatut und geistlicher Leitfaden. Sie bestimmen die innere Dynamik und den Geist der Gesellschaft Jesu bis in die Gegenwart.
5. Die Grundsätze der Gemeinschaft sind zugleich die Normen, unter die Ignatius sein persönliches Leben gestellt hatte und denen er bis zum Tod treu geblieben war. Insofern lebt die Gesellschaft Jesu aus den Erfahrungen ihres Gründers. Grundlage der “Verfassung” des Jesuitenordens sind die “Constitutiones” und die sie erganzenden Regeln und die Beschlüsse der Generalversammlungen. Diese Quellen bilden zusammen mit der Studienordnung der Gesellschaft Jesu (“Ratio studiorum”), dem Exerzitienbuch des Ignatius, den allgemeinen Erlassen der Generaloberen, verschiedenen Formulae (Anweisungen, Geschäftsordnungen) sowie mit den einschlägigen päpstlichen Erlassen das “Institutum Societatis lesu”, die Zusammenfassung der wichtigsten Urkunden des Jesuitenordens.
Die zweite große Leitidee des Jesuitenordens bekundet sich im Signet IHS, dem “Monogramm Jesu”. Entstanden ist die Bildung IHS für “Jesus” aus der griechischen Form des Namens, indem die beiden ersten und der letzte Buchstabe des Wortes (JE-S) geschrieben worden. Als Zeichen für den Namen Jesu erscheint es im Spatmittelalter immer häufiger. Vor allem im 15. Jahrhundert wird es von dem Franziskaner Bernardin von Siena bekannt gemacht, der den Glaubigen nach seinen Predigten eine Scheibe mit dem IHS, zumeist umgeben von einem Strahlenkranz, zeigte. Es ist auch anzunehmen, dass das IHS-Monogramm, wie noch heute, hauptsächlich zum Stanzen der Hostien gebraucht und dadurch weit verbreitet worden ist.
Die am meisten verbreitete und vielfältigste Verwendung erfährt das IHS aber durch die Gesellschaft Jesu, die dieses populärste christliche Buchstabensymbol als Signet wählte. Als “Erkennungszeichen” finden wir es an den Fassaden der Jesuitenleirchen und Kollegien, an Altären und Kultgegenständen, auf Kupferstichen und auf den Titelseiten der Bücher jesuitischer Autoren. Auf die ausdrückliche Anordnung des Ordensgründers gent zurück, dass über den Eingängen der Gebäude der Jesuiten das IHS-Monogramm angebracht wurde. Er wollte damit sein Anliegen plastisch unterstreichen, dass nämlich der neue Orden als “Gefährten von Jesus” (“Gesellschaft Jesu”) und nicht als “von Ignatius” (“Ignatianer”) bekannt wird.
6. Ignatius von Loyola und seine ersten Gefährten gaben sich den Namen dessen, den sie als ihren eigentlichen Führer betrachteten, Jesus Christus, und bezeichneten ihre Gemeinschaft als “Gesellschaft Jesu”. Ignatius begründete die Namensgebung mit mystischen Erfahrungen auf dem Weg von Siena nach Rom: Es war ihm, als habe Gott ihm die Worte Ich werde euch in Rom gnädig sein ins Herz eingeprägt. In La Storta, wenige Kilometer vor der Ewigen Stadt gnadig sein ins Herz eingepragt. In La Storta, wenige Kilometer vor der Ewigen Stadt schließlich schien es ihm, dass er Christus mit dem Kreuz auf der Schulter sehe, und Gott neben ihm, der zu seinem Sohn sagte: Ich will, dass du diesen als deinen Diener annimmst. Und so nahm Jesus Ignatius an und sagte: Ich will, dass du uns dienst. Diese Vision besagte, dass er und seine Gefährten Gott dienen sollten, indem sie zusammen mit Christus gesandt werden, den Menschen zu helfen. Ignatius hatte so eine große Andacht zum Namen Jesu gefasst und sich von keinem Widerspruch davon abbringen, seine Gemeinschaft “Gesellschaft Jesu” zu nennen. Der Name “Gesellschaft Jesu” war neben der Bezeichnung des Ordens ein Programm für die Wiedergabe der christlichen Botschaft und ihr Verständnis: Christsein heißt zusammen mit Jesus vor Gott stehen, Anteil haben am Verhältnis Jesu zu Gott.
Neben dem Namen “Gesellschaft Jesu” wählte Ignatius das IHS in der Strahlensonne als Zeichen für den neuen Orden. Der Strahlenkranz ist das Symbol der Sonne, Jesus der sol invictus, der verherrlichte Auferstandene, der erhöhte Herr. Dass der Weg zur Erhöhung durch das Kreuz führt, daran erinnert das zum Kreuz geformte Kürzungszeichen über dem griechischen Eta. Verdeutlicht wird dies durch die drei Nägel, die insignia Christi und der Nachfolge des Gekreuzigten in den drei Gelübden Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam. In dieser Form erst wurde das Symbolbild zum Signet der Gesellschaft Jesu. Das Signet enthält eine ganze Theologie des Namens Jesu, es ist Ausdruck des Glaubens: Es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen (Apg 4,12).
Das Siegel des Ignatius als Generaloberer ist einmalig und im Orden weniger üblich geworden: Der Name Jesu steht in einem Kreis, Symbol des Himmels. Über dem in Kleinbuchstaben geschriebenen Christus-Monogramm, bei dem der Balken des “h” zum Kreuzeszeichen erweitert ist, sind eine Sonne und darunter ein Halbmond mit zwei Stemen angebracht. Sonne und Mond sind die Symbole von Christus und Maria, die Sterne Attribute der Gottesmutter. Dies weist auf die Grundidee der Lebensweihe des Ignatius an Maria hin, die nicht nur seine eigene Vita durchzog, sondern darüber hinaus ein tragender Bestandteil der Ordensverfassung wurde.
Die geistlichen Erfahrungen und Einsichten des Ignatius von Loyola sind in die Satzungen eingeflossen und haben so die Spiritualität und Vorgehensweise des von ihm gegründeten Jesuitenordens geprägt. Auf den Dienst für die größere Ehre Gottes, der unlösbar mit dem Dienst für den Nächsten verbunden ist, verweist Ignatius mit seinem Motto, das auch der Wahlspruch des Ordens ist: Ad maiorem Dei gloriam. Ein anderer aber ist es, der zu diesem Dienst beruft. Auch heute. Darauf weist der Name Jesu hin, versinnbildlicht im Monogramm IHS. Das IHS vermittelt die Botschaft, unter der der Jesuitenorden einst angetreten ist und bis heute steht: Der Name Jesu steht im Zentrum — und in seiner Blickrichtung muss das Apostolat der Jesuiten in all seinen Aspekten betrachtet werden —als eine Sendung mitten in die Welt, zu den Menschen.
7. Ignatianische Lebensweise
Ignatius von Loyola wollte keinen “beschaulichen” (kontemplativen) Orden gründen. Er sah seine Berufung auch nicht im benediktinischen ora et Tabora (bete und arbeite). Er wollte, dass seine Söhne in der Welt stehen, ja er wagte einmal das kühne Wort: Wer nicht in die Welt passt, der passt auch nicht in die Gesellschaft Jesu. Ignatus wollte einen Orden, dessen Mitglieder jederzeit verfügbar und frei sind für den apostolischen Einsatz in der Welt. Deshalb, obgleich selbst Mystiker und ein Mann des Gebets, verpflichtete er seine Gefährten nicht zu langen Gebetszeiten oder zu der damals selbstverstandlichen Praxis des gemeinsamen Chorgebetes. Die dadurch gewonnene Zeit sollten sie dafür verwenden, in vielfacher Weise tätig zu sein für die Ausbreitung des Reiches Gottes und das Heil der Menschen. Andererseits wusste Ignatius um die Gefahr, unter der Last einer schweren Aufgabe zu resignieren, in bloße Betriebsamkeit abzusinken oder nicht mehr die Ziele Gottes, sondern die eigenen zu verfolgen, wenn man die ursprüngliche Orientierung und Motivation allen Tuns nicht immer wieder ins Bewusstsein bringt und im Herzen lebendig erhält. Um dieser Gefahr zu entgehen, wollte Ignatius Männer haben, die Gott in allen Dingen finden und deren Handeln stets von dieser Sicht beseelt und begleitet ist. Einer seiner Gefährten fasste dieses Leitbild ignatianischer Lebensweise in das Wort contemplativus in actione: in aller Tätigkeit gottverbunden bleiben; Gott und seinen Auftrag immer im Blick behalten und aus dem Schauen auf ihn heraus handeln. Sein Ideal war also nicht die Kontemplation und (davon unterschieden) die Aktion, sondern die Einheit von beidem in einer auf die Tätigkeit ausgerichteten Lebensweise.
“Jesuit”
“Jesuiten” ist die allgemeine Bezeichnung für die Mitglieder des Ordens der Gesellschaft Jesu, Societas Jesu, SJ.
Der Name “Jesuita” (“Jesuit”) stammt ursprünglich nicht von den Mitgliedern der Gesellschaft Jesu. Als Ehrenname für fromme Leute findet er sich schon im 15. Jahrhundert und als Spottname für Betbrüder am Anfang des 16. Jahrhunderts. Der schlechte Wille und die Bosheit mancher Leute hat uns den Namen “Jesuiten” gegeben, schreibt Petrus Canisius am 15. Februar 1545, ferne sei es von uns, die wir nichts sind als neue Freiwillige im Dienste des Kreuzes, diesen heiligen Namen uns anzumaßen … Wir wissen gut, dass Gefahren, Beschwerden und Widerstand, die wir erfahren, das gemeinsame Los aller frommen Seelen sind, besonders in dieser ärgerlichen Zeit, in der alle Frömmigkeit als Aberglaube verspottet wird.
Wenn auch der Orden den Namen nie offiziell angenommen hat, so wurde derselbe doch schon im 16. Jahrhundert auch von den Mitgliedern des Ordens selbst als kurze Bezeichnung vielfach gebraucht.
8. “Jesuitinnen”
In den Anfangsjahren batten Jesuiten für Frauen eine besondere Faszination. Dies lag einen in der Tradition der “Devotio moderna”, die von der Gesellschaft Jesu weitergetragen wurde, einer Erneuerungsbewegung, in deren Mitte eine tiefe Christusfrömmigkeit stand. Zum anderen vertraten die Jesuiten ihre Spiritualität nicht hinter Klostermauern, sondern in der Welt. Der Gewinn, der die Frauen aus ihrem religiösen Engagement zogen, war neben dem Interesse an einer religiösen Neuorientierung auch, dass sich im Umfeld der Jesuiten Möglichkeiten des Agierens für sie eröffneten, die sonst nicht möglich waren. Auch war der jesuitische Lebensstil, also einfache schwarze Kleidung, asketisches Leben und so weiter bald chic und gehörte zum guten Ton.
Ignatius von Loyola hatte schon bald nach seiner Bekehrung 1521 in Barcelona, von wo aus er in das Heilige Land aufbrechen wollte, einen Kreis von Jüngerinnen um sich, eine Schar von Frauen aus den höheren Gesellschaftsschichten, die sich durch fromme Neugier zu ihm hingezogen fühlten und für die Finanzierung seines Lebensunterhaltes sorgten. Sie luden Ignatius des öfteren zu sich nach Hause ein und unterstützten ihn, wo sie nur konnten. So wurden diese Frauen, die man wegen ihrer verehrungswürdigen Anhänglichkeit an Ignatius bald spöttisch “Inigas” nannte, die ersten Seelen, die sich von ihm helfen ließen und ihm selbst wurde immer klarer, dass es sein Beruf sei, den Seelen zu helfen (ayudar las animas).
Aus seiner Begegnung mit Isabel Roser entwickelte sich eine lebenslange Verbindung zwischen beiden. Nach seiner Rückkehr aus Jerusalem erhielt Ignatius Rat und finanzielle Unterstützung für seinen Lebensunterhalt von ihr während seiner Studien in Paris. Denn euch schulde ich mehr als allen Personen in diesem Leben, die ich kenne. Mit diesem Satz in einem Brief an Isabel Roser vom 10. November 1532 beschreibt Ignatius sein Verhältnis zu seiner vornehmen Gönnerin.
Der Jesuitenorden ist ein Männerorden. Einen Frauenzweig der Gesellschaft Jesu hatte weder Ignatius stiften noch der Orden später annehmen wollen. Ignatius entschied sich wohl auch deshalb dagegen, da er keine geistliche Partnerin fand wie einst Franz von Assisi Clara, Benedikt von Nursia Scholastika und später Johannes vom Kreuz Theresia von Avila. Sicher hätte zudem, so revolutionär das Ordenskonzept des Ignatius damals für einen Männerorden war, dasselbe Projekt für einen parallelen Frauenorden noch mehr innerkirchliche Eruptionen verursacht. Trotzdem liegen in den Exerzitien und im Ansatz des jesuitischen Apostolats auch viele Möglichkeiten für Frauen, die ein geistliches und apostolisches Leben führen wollen. So haben weibliche Gemeinschaften oft von der Gesellschaft Jesu den Geist übernommen, zum Teil die Regel, und nicht selten hatten Jesuiten Anteil an ihrer Gründung.
9. Ignatius stand mit vielen Frauen aus meist gehobeneren Kreisen im Briefwechsel. Obwohl er die Gelegenheiten zur geistlichen Beratung nutzte, versuchte er auch oft, ihre Unterstützung für pastorale Unternehmen des Ordens zu gewinnen oder zu bestärken. 1545 musste er auf Druck Papst Pauls III. die Gründung eines weiblichen Ordens zulassen, dessen Ziel und Regel seiner Stiftung entsprach, und seine ehemalige Gönnerin Isabel Roser mit ihren beiden Freundinnen aus Barcelona als “Töchter Jesu” in seine Hände das Gehorsamsgelübde ablegen lassen. Doch diese “Jesuitinnen” oder “Jesuitessen”, welche in alien Stücken den Jesuiten nachzuahmen suchten, bestanden als Orden nur ein Jahr; Ignatius erwirkte, weil allerhand Unordnungen unter ihnen eingerissen, ihre Auflösung.
Weiteren Ansinnen von Frauen, in den Orden aufgenommen zu werden, stand Ignatius unerbittlich gegenüber, so Jacoba Pallavicino aus Parma, die ihre Briefe bereits mit Jacoba aus der Gesellschaft Jesu unterschrieb.
Am 20. Mai 1547 wurde die Distanz der Gesellschaft Jesu zu Frauen festgeschrieben: Ignatius erwirkte von Papst Paul III. ein Dekret, das die Möglichkeit eines weiblichen Zweiges der Gesellschaft für alle Zeiten ausschloss und das in die Bulle “Licet debitum” vom 18. Oktober 1549 aufgenommen wurde. Vermutlich konnte sich Ignatius einen solchen Zweig nur entsprechend dem voll klausurierten Modell der bestehenden “Zweiten Orden” der Dominikaner und Franziskaner für Frauen vorstellen; ein weiblicher Zweig der Gesellschaft Jesu hätte auch Jesuitenpriester als reguläre und feste Kapläne erforderlich gemacht und vom männlichen Zweig geleitet werden müssen. Als Wohltäterinnen aber durften Frauen weiterhin mit der Gesellschaft Jesu zusammenwirken. So wurden aus den Mäzeninnen für die ignatianische Idee Mazeninnen für den Orden. Dennoch gelang es 1554 Juana de Austria, der talentierten und willensstarken Tochter von Karl V., Schwester von Philipp II. und zwischendurch Regentin von Spanien, einen solchen Druck auszuüben, dass Ignatius sich mit ihrem Ansinnen, in den Orden einzutreten, auseinandersetzen musste. Das einberufene Komitee empfahl ihre Aufnahme in die Gesellschaft Jesu unter einigen sorgfaltig formulierten Bedingungen für “Mateo Sanchez”, dem Geheimnamen der Infantin. Juana wurde Jesuitin, wohl nach dem 26. Oktober 1554, dem Datum der Denkschrift, die ihren Status in der Gesellschaft Jesu behandelte und von Ignatius unterzeichnet ist, mid blieb es bis zu ihrem Tod am 7. September 1573. Dieses Geheimnis war nur ihr und einigen wenigen Ordensmitgliedern bekannt. Sie gehörte selbstverständlich nie einem bestimmten Kolleg an, sondern führte immer ihr eigenes Hauswesen welter. Ihre Hofhaltung nahm allerdings klösterliche Formen an und spiegelte wider, was der Wirklichkeit entsprach. Ignatius und den eingeweihten Mitbrüdern war wegen der ungewühnlichen Situation und der moglichen Gegenmanahmen von Juanas Bruder, falls diesem das Geheimnis seiner Schwester zu Ohren kommen sollte, nicht wohl zumute. Auf der anderen Seite stand die Hoffuung, dass Juana der Gesellschaft Jesu Hilfe und Schutz geben konnte. Tatsächlich unterstützte sie in einigen wichtigen Angelegenheiten die Jesuiten, doch sie löste auch einige Ängste aus. Das Experiment wurde niemale wiederholt. Die Infantin Juana von Spanien ist somit die einzige Jesuitin, die wirklich Mitglied der Gesellschaft Jesu gewesen ist.
10. Nach der Grundsatzentscheidung von 1547 wurden Frauen zwar nicht mehr in die Gesellschaft Jesu aufgenommen, aber Jesuiten waren Gruender und Inspiratoren bei der Gründung von Frauenkongregationen. Einen wahren Kampf der Geister beschwor zu Beginn des 17. Jahrhunderts das Bestreben der Engländerin Mary Ward (1585-1645) herauf, das Institut der Gesellschaft Jesu für die Frauenwelt auch missionarisch, nicht allein für die Schule, nachzubilden. Die “Congregatio Jesu” (CJ), von ihr 1609 in London gegründet, bekam erst 1877 von der Kirche die volle Bestätigung. Sie selbst durfte bis 1904 offiziell nicht als Stifterin anerkannt werden. Heute hat sich die Gemeinschaft aber alle Erdteile ausgebreitet und hat als Aufgaben die gleichen, die die Gründerin formulierte: Mädchenerziehung, Seelsorgearbeit und Einsatz für die Gerechtigkeit. Was Mary Ward ursprünglich wollte, und was sie schon in die Tat umgesetzt hatte, war eine weibliche Genossenschaft von “Jesuitinnen” dem Geist, der Regel und der Arbeit nach, wenn sie auch nicht satzungsgemäß unter der geistlichen Leitung der Gesellschaft Jesu stehen sollte. Ein Entwurf ihrer Gründung, der 1616 in Rom vorgelegt wurde, enthielt die gleiche straffe Organisation, die verschiedenen Klassen, die Gelübde, auch den Verzicht auf das gemeinsame Chorgebet, auf Klausur und Ordenstracht. Als Titel ihrer Gemeinschaft wählte die Ordensgrunderin sogar den Namen “Societal Jesu”. Das Siegel Mary Wards als Generaloberin trug um das IHS, das Signet des Jesuitenordens, die Umschrift Praeposita Princ. Matrum Anglarum. Mary Ward muss eine ziemlich couragierte und für ihr Jahrhundert erstaunlich emanzipierte Person gewesen sein, die resolut ihre Meinung vertrat. Das wurde ihrem Orden zum Verhängnis: Am 13. Januar 1631 wurde er durch die päpstliche Bulle “Pastoralis Romani Pontificis” aufgelöst, da seine Mitglieder viele, dem weiblichen Geschlechte unziemende, und für die Schwäche seines Verstandes, wie für die weibliche Bescheidenheit und namentlich die jungfrauliche Sittsamkeit ganz und gar ungeeignete Werke unternehmen. MaryWard selbst kam in München in Klosterhaft. Erst in unserem Jahrhundert wird Mary Ward von der Kirche, die sie zu ihrer Zeit nicht verstanden hatte, als unvergleichliche Frau (Papst Pius XII.) und Pilgerin der Hoffnung (Papst Johannes Paul II.) bezeichnet. Mary Ward war es im 17. Jahrhundert nicht möglich, ihrer Gemeinschaft den Namen zu geben, den sie von Gott empfangen hatte: Nimm das Gleiche wie die Gesellschaft [Jesu]. Wahrend der vergangenen vier Jahrhunderte ist ihr Orden bekannt geworden als “Englische Fraulein”, “Maria-Ward-Schwestern” und “Institutum Bea-tae Mariae Virginis” (IBMV). Im Jahr 2002 hat sich die Gemeinschaft entschieden, den Namen “Jesus” zu übernehmen. Nach der Bestätigung durch die Kirche führt der Orden seit dem 30. Januar 2004 den offiziellen kirchlichen Namen “Congregatio Jesu”.
11. Es gibt keinen Frauenorden, der sich “Jesuitinnen” nennt. Der Begriff steht aber für Frauengemeinschaften, deren Grundung mit dem ignatianischen Geist zusammenhängt, die im Geiste des Jesuitenordens, in der Spiritualität des Ignatius leben. Es sindd sehr lebendige Frauenkongregationen, die ohne Anbindung an die Gesellschaft Jesu aus gleicher Inspiration leben, sehr eigenständig und nicht nur darin im besten Sinn: jesuitisch.
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Zusammenfassung
Die Jahre zwischen dem Tod des Ignatius 1556 und dem Tod Aquavivas am 31. Januar 1615 waren eine große Zeit für den Jesuitenorden: Die Gesellschaft Jesu war führend in der Wissenschaft, in der Literatur und in der Pädagogik. Ihre Mitglieder waren gefragte Prediger und Hofbeichtvater. Damit beherrschten sie einen beachtlichen Teil der Schlüsselstellungen zur öffentlichen Meinung. In dieser Zeit erfolgte auch die Wiedergewinnung der Hälfte Deutschlands für die katholische Kirche durch Petrus Canisius. Von besonderer Bedeutung für die kulturelle Entwicklung Europas war die von Aquaviva verabschiedete Studienordnung (“Ratio studiorum”) von 1599.