Dietrich von der Glezze, Der Siegesgürtel
(see also my English translation)
(Auf der Grundlage von Wolfgang Spiewoks Übersetzung [1984] überarbeitet und neu zum Lehrgebrauch ins Netz gestellt von Albrecht Classen. 2006)
Ich heiße “Der Siegesgürtel” und bin für ein gebildetes ehrbares Publikum bestimmt, nicht für rüde Bösewichte. Diesen möge ihre Bosheit übel bekommen and sie plagen bis an ihr gallebitteres Ende. Nur verständigen and ehrsamen Leuten soll man mich vorlesen, um sie so für ihre Tugendhaftigkeit mit fröhlicher Unterhaltung zu belohnen.
Es lebte einst ein ehrbarer and rechtschaffener Ritter namens Konrad, der dank vorbildhafter Lebensführung bei allen Edelleuten in hohem Ansehen stand. Oft war er bei Hofe zu sehen, wo er sich den vornehmsten Edelleuten zugesellte and sich zu allen — ob Gäste oder Bedienstete — stets liebenswürdig verhielt. Er befestigte seinen Ruhm vor allem dadurch, dass er um der Ehre and der schönen Damen willen häufig Turniere besuchte, auf denen er beim Hauen and Stechen voller Ehrbegier stets in der ersten Reihe stand. Er war eben ein Ritter ohne Furcht and Tadel.
Konrad hatte eine Frau von vornehmer Herkunft and großer Tugendhaftigkeit, dazu von unbezweifelbarer Schönheit. Ihr Körper war von herrlichem Ebenmaß. Man fand viel bei ihr zu rühmen: hellblonde, schimmernde Locken, pfirsichfarbene Wangen, große, glänzende Adleraugen, eine edelgeformte Nase, schwellende Rosenlippen, deren Kuss jeden Mann beseligen konnte, ein weißes, wohlgerundetes Kinn, einen Hals, so durchsichtig zart, dass man beim Trinken den roten Wein hindurchrinnen sah, elfenbeinfarbene Zähne, ein spielendes Zünglein, glitzernd wie das Werk eines Goldschmieds, Schultern, Arme and Hände ohne jeden Fehl, dazu ein Herz voller Lauterkeit. Sie war geradezu das Ideal einer Frau; jeder spürte bei ihrem Anblick Entzücken und schmerzliches Verlangen nach ihrer Liebe. Unterhalb des Gürtels besaß sie zudem ein atemberaubendes, köstliches Kleinod, in dessen Lobpreis jedes Herz schwelgen mochte. Schenkel, Füße and Beine waren wie gedrechselt. Von ihrer Schönheit ging ein solcher Glanz aus, dass jedes Gemach, in dem sie weilte, des Nachts taghell erschien. Noch mehr ist zu rühmen: Ihre frauliche Güte war von solcher Süße, dass sie das Salzwasser des Meeres in Süßwasser gewandelt hätte, wenn sie hineingewatet wäre. Vor solchem Adel and solcher Schönheit mußten sich Wild and Vögel, Berge and Wälder demütig verneigen. Ihre Güte and Freundlichkeit bezauberte so sehr, dass ihr freundlicher Gruß jeden Ritter drei Tage lang mit Glück and Fröhlichkeit erfüllte. Selig der Mann, der sie als Gattin heimführte, zumal sie ihm eine keusche, tugendhafte und sanftmütige Ehefrau war.
Einst, in einer Maiennacht, als die Vöglein miteinander im Gesang wetteiferten, lag sie nach genossenen Liebeswonnen still neben ihrem lieben Mann. Er faßte sie unters Kinn, küßte sie zärtlich auf den Mund and sagte: ,,Mein Herz weiß, dass es deiner Treue sicher ist. Hör zu: Obwohl ich in fremden Landen großen Ritterruhm erringen konnte, bin ich unzufrieden und. mochte um deiner Schönheit, deines Lächelns and deiner unwandelbaren Lauterkeit willen neue Turniertaten vollbringen, and zwar in diesem Land, da man hier meine Heldenkraft noch nicht gebührend würdigt. Zwei Meilen entfernt wird in Kürze ein Turnier veranstaltet, and ich möchte daran teilnehmen.”
Die Edelfrau sagte darauf: “Zieh nur aus! Ich werde dir stets and immer gehorsam sein and deinen Willen achten.” Damit war die Sache abgemacht. Vierzehn Tage später sollte das Turnier stattfinden, and in der verbleibenden Zeit traf unser Ritter sorgfaltig alle nötigen Vorbereitungen, um schließlich mit dem Segen seiner lieben Frau aufzubrechen.
Am Nachmittag des gleichen Tages lustwandelte die Hausfrau im Baumgarten der Burg, als sie durch den Zaun einen stattlichen, prächtig geschmückten Ritter vorbeireiten sah. Er trabte auf feurigem Roß daher, auf dem Lederhandschuh einen Habicht, an langen Riemen zwei prächtige Windhunde, um die Hüften einen edelsteinbesetzten Gürtel. Er erspähten die Edelfrau im Garten, and schon beim zweiten Blick war sein Herz verloren, entbrannte er in so heißer Leidenschaft, dass er jede Vernunft and Überlegung verlor. Er gab seinem Roß die Sporen and sprengte zur Gartenpforte. Dort sprang er vom Pferd, band es an einen Baum, befestigte an den Asten die beiden Hundeleinen, setzte den Habicht auf einen Zaunpfahl and betrat dann den Baumgarten. Die Hausfrau hieß ihn freundlich willkommen and sprach: “Bei dieser Hitze ist es verständlich, dass Ihr aus der prallen Sonne hierher in den Schatten der Baume fluchtet. Setzt Euch nieder and wartet, bis die Sonnenglut ein wenig nachläßt.” Sie rief ein Edelfraulein herbei and ließ für den Ritter einen Becher Wein bringen. Als sie ihm den Becher darbot, wäre er vor Verlangen nach ihr fast gestorben. Er nahm sich jedoch zusammen, trank ihr höflich zu and reichte ihr dann den Becher mit liebenswürdigem Dank zurück. Plaudernd saßen sie beisammen, bis die Sonne tiefer sank and die Abendkühle hereinbrach. Da wandte sich die schöne Gastgeberin an den Ritter: “Herr, gestattet mir eine Frage: Schickt es sich wohl, dass Ihr so lange bei mir weilt? Sollte der Hausherr zurückkehren, könnte er auf merkwürdige Gedanken kommen and sich dann vielleicht recht unfreundlich verhalten. Oder seid Ihr mit ihm verwandt? Wenn’s so ist, könnt Ihr gern bei mir bleiben. Er hat dann bestimmt nichts dagegen, wenn ich Euch ins Haus bitte.”
Der Ritter jedoch erwiderte: “Hochedle Dame! Ich kenne Euren Gatten nicht and bin hier völlig fremd. Da erklärte seine Gastgeberin: “Dann ziemt es sich nicht, dass Ihr länger verweilt. Ihr müßt jetzt aufbrechen!”
Der verliebte Rittersmann aber rief: “Ach, edle Dame, Fangnetz der Liebe. Ich kann keinen Schritt weichen; leidenschaftliches Verlangen nach Eurer Liebe halt mich fest mit unlosbaren Banden!”
Sie aber sprach vorwurfsvoll: “Vereinbart es sich mit Eurer ritterlichen Ehre, mich mit solchem Verlangen zu beleidigen! Schweigt still and geht!”
Der Ritter aber rührte sich nicht vom Fleck and rief außer sich: “Edelste Frau, Hort des Glückes, tötet mich nicht durch eine Zurückweisung! Seht, diesen Habicht will ich Euch schenken! Er ist mindestens fünfhundert Mark wert, denn er schlagt mit unfehlbarer Sicherheit alles, was da fliegt. Seid mir Hilfsbedürftigem nicht gram and erhörtet mich, sonst muß ich zugrunde gehen.”
Die Hausfrau wies ihn erzürnt zurück: “Auf solche Art handle ich meinem Gatten keinen Jagdvogel ein! Der Ritter wehklagte: “Ach, ich bin untröstlich! Seht meine zwei Windhunde, die besten Hetzrüden, die es gibt! Kein Tier auf der ganzen Welt kann es mit ihnen an Schnelligkeit oder Stärke aufnehmen! Ich schenke sie Euch, wenn Ihr mich aus den Banden meiner Leidenschaft erlöst!”
Die Burgherrin rief empört: “Ich denke nicht daran, wegen zweier Hunde meine Ehre geringzuachten and mich mit Schande zu bedecken. Ich soll mir nachsagen lassen, ich hatte meine Ehre einem Rüden vorgeworfen? Schweigt, denn mir steigt die Galle ins Blut!”
Der Ritter rang die Hände: “Angebetete Frau! Herzensbrecherin! Mein Sonnenschein! Reinste Frucht der Vollkommenheit! Habt Erbarmen! Seht dieses wunderbare Roß! Eine wahre Wonne jedes Ritters! Nie sah man ein Roß von herrlicherem Bau! In seiner Brust trägt es einen Edelstein, der ihm unübertreffliche Schnelligkeit and nie ermüdende Stärke verleiht. Wer es reitet, kann von keinem Gegner übertroffen werden. Es ist Euer, wenn Ihr mir Eure Liebe schenkt! Die Edelfrau aber erwiderte überlegen: “Es ist alles vergebens! Meine Ehre ist mir mehr wert als ein schnellfüßiger Gaul! Ich lasse doch nicht eine Mähre meine Ehre forttragen!” Der Ritter rief verzückt: “Geliebte Frau! Schönste Maienblüte! Goldkelch vollkommenster Wonnen! Du Fangnetz betörender Leidenschaft! Bezauberndes Spielzeug des Sommers! Erlöse mich Ärmsten der Armen von den Qualen, in die du mich verstrickt hast. Erbarmen, du lockender Rosenmund! Hier, sieh diesen Gürtel, auf beiden Seiten mit kostbaren Steinen and Goldplättchen besetzt. Er trögt mindestens fünfzig Edelsteine, zum Teil aus dem Morgenland, aus Marokko, Indien and Syrien. Man brachte übers Meer zwölf Chrysopase, vier Onyxe and drei Chrysolite. Hier, dieser dunkelrote, an einer Hälfte rauchfarbene Stein stammt aus Griechenland. Wer ihn trägt, gewinnt gewaltigen Ritterruhm, denn er macht im Kampf unüberwindbar. Wer diesen Stein im Gürtel trägt, ist stets vom Glück begleitet and braucht nie um seinen Heldenruhm zu bangen. Aus jedem Kampf geht er unversehrt als Sieger hervor. Auch schützt er vor Feuersbrunst and Wassersnot. Geliebte Frau, wenn Ihr mir zu Willen seid, sind Gürtel, Habicht, Roß und Hunde Euer! Nur stillt meine Schmerzen!”
Nach diesem Angebot sah die Hausherrin nachdenklich zu Boden; sie rang mit sich and wurde bald totenbleich, bald feuerrot. Schließlich rief sie eine Dienstmagd herbei and schärfte ihr ein: “Hier, bring Habicht, Roß and Hunde fort! Und dann sorg dafür, dass niemand den Baumgarten betritt! Mein Dank ist dir gewiß! Darauf wandte sie sich an den überglücklichen Ritter: “Nun, edler Herr, gebt auch den Gürtel. Habicht, Roß and Windhunde habe ich bereits. Danach will ich mich Euch zwar heimlich, doch rückhaltlos and ohne Vorbehalt hingeben! Der Ritter reichte ihr den Gürtel, und dann, ihr könnt’s glauben oder nicht, ließ sich die Burgherrin auf den Rasen sinken and zog den Ritter zu sich herab, während die Bäume kräftig rauschten, die Rosen frohlockten and die Vöglein einen fröhlichen Sang anstimmten. Als die schöne Frau den Ritter mit ihrer Liebe beglückt hatte, erhoben sich ringsum aus dem Rasen rote Rosen, um die Liebenden vor Späherblicken zu schützen, and als der Liebessturm verrauscht war, hörte man Blumen and Grashalme fröhlich kichern.
Als der Ritter Abschied nahm, sagte die reizende Schöne: “Seht, nun habt Ihr Euern Willen gehabt! Dünkt Euch der Handel nicht reichlich schlecht? Jetzt seid Ihr schließlich Gürtel, Habicht, Windhunde and Euer schnelles Roß los! Ihr seid doch ein rechter Tor, solch wertvolle Dinge für so flüchtigen Genuss zu verschleudern! Der Ritter aber lachte fröhlich: “Herzliebste Frau! Beruhigt Euch nur. Was Ihr als Verlust anseht, ist für mich höchstes Glück! Nie war ich im Leben glücklicher als in Euren Armen! Liebste, küß mich zum Abschied noch einmal auf den Mund! Und nachdem sie ihn zärtlich geküßt hatte, zog er traurig von dannen.
Nun hatte aber ein Knecht das Geschehen im Garten belauscht. Sogleich ritt er zu seinem Herrn and berichtete, was ihm Schlimmes widerfahren war: “Herr, Gott sei’s geklagt, aber ich muß es Euch melden: Meine Herrin betrügt Euch. In aller Heimlichkeit treibt sie’s
mit einem anderen. Zufällig war ich Zeuge, wie sie im Baumgarten einem fremden Ritter alles gewährte, was sich ein Mann bei einer Frau nur wünschen kann.”
Der Burgherr klagte: “Oh weh, Allmächtiger! Mein Glück ist zerbrochen! Ich hielt meine Frau für keusch, doch sie hat ihre Keuschheit preisgegeben and mich schamlos hintergangen. Da sie mich so in Schande gebracht and meine Ehre zerstört hat, will ich fortreiten and nie mehr wiederkehren! Er warf sein Roß herum, gab ihm die Sporen and ritt nach Brabant. Als die Frau hörte, was geschehen war, überlegte sie and sprach: “Gewiß, mein Hausherr hat allen Grund, mir zu grollen. Doch ich will’s mit Fassung tragen. Wenn er jetzt auch in hellem Zorn sein mag, am Ende wird er sich schon beruhigen.” Der verräterische Knecht aber wurde von ihr mit Schimpf and Schande aus dem Hause gejagt.
Nachdem die Burgherrin zwei Jahre lang gewartet hatte, ohne dass ihr Gatte wiedergekommen wäre oder auch nur eine Nachricht geschickt hätte, nahm sie alles Geld zusammen, das sie in diesen zwei Jahren gespart hatte. Sie erwog allerlei Pläne, war sie doch unbescholten, stolz, recht beherzt and kaum zwanzig Jahre alt. Als nun der Mai den kalten April aus dem Felde schlug and sich der Wald im Schmucke frischen, grünen Laubes zeigte, vertrieb sie Scheu and Sorgen and faßte sich ein Herz. Fünfhundert Mark tat sie in ihren Beutel and sprach dann zu sich: “Mein lieber Gatte ist ein rechter Starrkopf. Wenn er nicht kommen will, muß ich ihn suchen! Er ist mir schließlich der liebste von allen! Und sie betrieb sofort alle Reisevorbereitungen. Am Ende umgürtete sie sich mit dem gewonnenen Siegesgürtel, nahm die Windhunde an die Leine, den Habicht auf die Faust and trabte, begleitet von zehn Knechten, mit dem prächtigen Pferd frohen Mutes los. Nach langem Ritt gelangte sie in eine prächtige Stadt and kehrte dort bei einem gut beleumdeten Herbergswirt ein. Nachdem sie der Wirt ehrerbietig willkommen geheißen hatte, sprang sie mit freundlichem Dank vom Pferd and folgte ihm ins Haus. Der Wirt ließ Wein herbeibringen, and beim fröhlichen Umtrunk sprach sie zu den Knechten: “Hört her, ihr wackeren Knappen! Wenn euch an meiner Ehre liegt, so kehrt nach Hause zurück and hütet dort getreulich meinen Besitz. Die Knappen versicherten: “Edle Herrin! Euer Befehl wird gern and freudig ausgeführt.” Damit ritten sie zurück.
Nach vier Tagen näherte sich die Edelfrau dem Wirt and zog ihn beiseite: “Herr Wirt, ich will Euch ein Geheimnis anvertrauen, das Ihr im tiefsten Herzen bewahren sollt. Ich bin in Wahrheit keine Frau, sondern ein Ritter. Scheine ich auch schmächtig and schwächlich, so stehe ich doch im Ernstfall meinen Mann. Ich mußte mich einem übermächtigen Feind entziehen and bin aus diesem Grunde in Frauenkleidern aus der Heimat geflohen. Hier, nehmt diese vierhundert Mark. Beschafft mir zwölf wehrhafte Knappen, die Ihr mit starken Rossen, Rüstungen and Kleidung versehen mögt. Zeigt Euch nicht kleinlich dabei, denn ich will mich meiner Begleitung nicht schämen müssen. Für mich selbst besorgt Manneskleider and eine gut gearbeitete, prächtig geschmückte Rüstung. Der Wirt erfüllte prompt den Auftrag and verpflichtete überdies einen Spielmann.
Nun schnitt sich die hübsche Edeldame die Locken ab and rüstete sich auch sonst zur Reise. In Manneskleidern, die ihr ganz prächtig standen, nahm sie mitsamt ihren Knechten Abschied vom Wirt and ritt nach Brabant. Als sie zu diesem Land und bis vor die Burg des Landesherrn gekommen war, ließ sie ihre Begleitung mit fröhlichem Sang and Klang vor das Tor rücken. Der Herzog hörte dies and rief seinen Leuten zu: “He, beeilt euch! Mir will scheinen, dass fremde Gäste zu meinem Hoffest gekommen sind. Schaut nach, wer es ist. Einer der Ritter warf einen Blick hinaus, and als er die verkleidete Heldin erblickte, rief er dem Herzog zu: “Es ist ein stattlicher Ritter mit großem Gefolge.”
Darauf befahl der Landesherr: “Dann laßt ihn ein! Er soll mit seinen Knappen gute Aufnahme finden.” Als man das Burgtor öffnete, hielt die Schar mit großem Pomp ihren Einzug: Die Edeldame, natürlich in Ritterkleidung, trug einen überall mit Goldborten verzierten Scharlachmantel. Dazu zierte sie weißes Hermelinpelzwerk. Doch aller Glanz ihrer Kleidung wurde überstrahlt von ihrem Gürtel. Im hellblonden Haar trug sie einen Blumenkranz and konnte sich in diesem Aufzug mit den stattlichsten Rittern messen. Nachdem man die Rosse der Gäste versorgt hatte, führte man die Edelfrau in den Saal vor den Herzog. Man war gerade beim Essen, and unter den Tafelnden saß auch ihr Gatte. Der Herzog hieß den Ritter willkommen and wies ihn an die Seite ihres Gatten, den sie sofort erkannt hatte. Konrad aber erkannte sie nicht and fragte: “Herr, aus welchem Lande führt Euch der Weg hierher?” “Je nun, ich komme aus Schwaben.” “Sagt mir bitte Euren Namen.” “Herr, ich heiße Heinrich.” Darauf Konrad: “Wir zwei sind die einzigen Fremdlinge in dieser Runde. Wenn Ihr wollt, schließen wir Freundschaft. Das wird unsere Chancen beim Turnier erhöhen.” Heinrich sprach: “Einverstanden, lieber Gesell!” Und so wurde ihr alter Bund neu besiegelt.
Nach dem Mahle rief man die Jäger herbei, denn es sollte auf die Bärenjagd gehen. Als man das Tier gestellt hatte, schlug der Bär die Angriffe aller Hunde erfolgreich ab, bis Heinrich seine prachtvollen Windhunde von der Leine ließ. Ihnen mußte der Bär unterliegen. Mit blitzschnellen Attacken and scharfen Bissen brachten sie ihn zu Fall, bissen ihm die Kehle durch and rissen in wilder Wut große Stücke aus seinem Pelz. Der Herzog war hell begeistert von diesem Meisterstück der beiden Windhunde and bot fünfhundert Mark für sie. In der Tat waren die Hunde so schnell and gewandt, dass jedes Wild verloren war, auf das man sie ansetzte.
Heinrich aber sprach: “Herr Herzog, die Windhunde sind nicht feil! Nach der Bärenjagd ging’s auf die Beizjagd. Falken and Habichte zeigten ihre Jagdkunst, doch als Heinrich seinen Jagdvogel in die Luft warf, schlug er auf Anhieb vierzig Vogel! Nichts entging seinen scharfen Fangen. Der Herzog bewunderte diese erstaunliche Leistung and bot einen Batzen Geld für den Habicht, doch Heinrich sprach: “Solange ich lebe, ist er nicht feil!” Auf dem fröhlichen Heimritt kam es zwischen den Edelleuten zu einem Wettrennen, doch das Roß von Heinrich lief den Pferden der anderen mühelos davon. Der Herzog bot einen Goldschatz, ja sogar ein Lehen [eine Grafschaft] für das Roß, doch Heinrich erklärte: “Edler Herr, das Roß ist nicht feil!” Danach eröffnete der Herzog ein Turnier, an dem zahlreiche Ritter teilnahmen, unter anderem ein stolzer Brite. Waffenrock and Pferdedecke waren von feuerrotem Stoff, das Roß war zudem geschmeidig and sprungstark wie ein Panther. Dieser Ritter forderte alle anderen zum Kampfe heraus, doch keiner wagte es, gegen ihn anzutreten. Schließlich ermannte sich Konrad. Er legte seine Rüstung an, schwang sich in den Sattel, nahm seine Lanze, hob den Schild empor and ritt gegen den Briten an. Das sollte ihm aber übel bekommen, denn sein Gegner stach ihn aus dem Sattel. Nie zuvor hatte Herr Konrad eine so schmähliche Niederlage erlebt!
Als der Ausgang bei Hofe bekannt wurde and Heinrich davon hörte, rief er: “Wohlan, dann will auch ich gegen den Briten mein Glück versuchen, and dies auf der Stelle!” Während er sich hastig rüstete, kam der Herzog herangeritten and sagte: “Her Heinrich, ich bitte Euch dringlich, dem Briten den Turnierpreis zu lassen. Er hat den besten unserer Turnierritter in den Sand gestreckt and ist Euch an Stärke weit überlegen. Ihr habt nicht die geringste Chance gegen ihn!”
Herr Heinrich aber wehrte ab. “Beruhigt Euch, Herr Herzog. Ganz gleich, wie die Sache ausgeht! Ich bin entschlossen, mich mit dem Briten im Kampfe zu messen.” Seine Rüstung war spiegelblank wie geschliffenes Glas, seine Schenkel wurden geschützt von einem vorzüglich gearbeiteten Kettenpanzer, der in Drachenblut gehärtet war. Die Beinschienen waren aus goldgeschmücktem Stahl. Um die Hüften hatte er eine seidene Schärpe geschlungen. Die glänzende Brünne war mit vielen funkelnden Edelsteinen besetzt, and auch die Arme waren von ausgezeichneten Rüstungsteilen bedeckt. Sein Helmschmuck waren Maienblüten, während auf seinem grünfarbenen Waffenrock goldene Rosen leuchteten. Sein Schwert aus bestem Stahl hing an einem golddurchwirkten Schwertgehänge, and goldübersät blitzte auch sein Schild, der in der Mitte eine weiße Lilie zeigte. In der Hand hielt Heinrich eine starke Turnierlanze. Auf die Pferdedecke, grün mit goldenen Rosen wie der Waffenrock, hatte der Handwerksmeister all sein Können verwandt. Goldfarben war schließlich auch der Kopfschutz des Pferdes. Unter all dem Glanz war der siegbringende Gürtel fast nicht mehr zu sehen.
Als sich das Streitroß in Bewegung setzte, begann das viele Geschmeide der Rüstung melodisch zu klingeln and feuerte das Roß an, so dass es vor Ungeduld zu tänzeln and streitlustig zu wiehern begann. Sobald Heinrich auf dem Kampfplatz erschien, verkündeten Fanfarenstöße den Beginn des Kampfes. Beide, Heinrich and der Brite, stürmten aufeinander ein and zerbrachen beim Zusammenstoß die Lanzen. Beide schrien: “Lanzen her!” and sprengten dann mit noch größerer Verbissenheit aufeinander los. In diesem zweiten Gang unterlag der Brite; Heinrich fegte ihn mit Wucht aus dem Sattel hinters Pferd! Danach setzte ein Massenturnier ein, doch wo immer Heinrich heranstürmte, wich man zurück. Allenthalben erhob sich lautes Kampfgeschrei unter den stattlichen Rittern, Heinrich aber wütete so schrecklich unter der Gegenpartei, dass sie in kürzester Zeit unterlag. Er allein besiegte dreißig Gegner and führte ihre Pferde als gute Beute davon. Für diese Taten wurde er von den Zuschauern in allen Tönen gepriesen.
Wenig später unternahm der Herzog einen Heereszug gegen eine Stadt. Bei dieser Gelegenheit begaben sich Konrad and Heinrich zu zweit auf einen Spähritt. Unterwegs bat Konrad seinen Gefährten um ein Freundesgeschenk: “Mein Freund, ich würde es dir herzlich danken and wäre von deiner Freundesliebe überzeugt, wenn du mir die zwei Windhunde oder den Habicht oder dein Roß verehren wolltest!” Heinrich aber lehnte ab. “Bester Gesell, spart Euch Eure Worte! Kein Mensch kann von mir erwarten, dass ich ihm die Windhunde oder das Roß oder den Habicht schenke! Ihr bittet vergebens”. Herr Konrad aber ließ nicht nach: “Lieber Freund, beweist mir, dass ich auf Eure Freundestreue bauen kann. Dafür könnt Ihr von mir jeden Dienst verlangen, and meine stete Zuneigung ist Euch sicher. Schlagt also meine Bitte nicht ab!” Da erwiderte Heinrich rasch: “Also gut, Ihr bekommt den Habicht, wenn Ihr bereit seid, das zu tun, was ich von Euch verlangen werde. Fröhlich rief Herr Konrad: “Bester Freund! Ich tu alles, was Ihr wollt! Da lächelte Heinrich: “Meine Forderung ist allerdings ein wenig ungewöhnlich. Nie hatte ich es mit einer Frau zu tun, da ich nur Lust auf Männerliebe habe. Wenn Ihr also bereit seid, mir in aller Heimlichkeit zu Willen zu sein, so gebe ich Euch gerne nicht nur den Habicht, sondern vielleicht auch noch die beiden Windhunde.”
Herr Konrad rief entsetzt: “Lieber Freund, tief schmerzt es mich zu hören, dass ein so stattlicher Held wie Ihr so unnatürliche Neigungen hat.” Da sah ihn Heinrich finster an and meinte kurz angebunden: “Mein Freund, wenn du alles tust, was ich dir sage, bekommst du den Habicht, sonst ist nichts zu machen.” Unsicher fragte Konrad: “Was soll ich denn tun? “Ganz einfach! Du legst dich zu mir, and dann spielen wir zusammen alle die Liebesspiele, die sonst der Mann mit seiner Liebsten spielt, wenn er in der Nacht an ihrer Seite liegt”. Da erklärte sich Konrad voller Besitzgier schließlich bereit: “Schön, ich mache mit, wenn ich die Windhunde und den Habicht bekomme!” Heinrich erklärte darauf: “Also gut, dann laßt uns auf der Stelle beginnen.” Und als er Herrn Konrad so weit hatte, dass er sich bereitwillig auf den Rücken legte, schüttelte er sich vor spöttischem Lachen and höhnte: “Weiß Gott, was seid Ihr für ein Jämmerling! Für einen Habicht and zwei Hunde macht Ihr aus Euch einen verabscheuungswürdigen Ketzer, der sich widerlichen Lastern hingibt. Erkennt Ihr mich denn nicht? Ich bin Eure angetraute Ehefrau! Nun gut, ich habe mich einem Ritter hingegeben, um Habicht, Windhunde, Streitroß and diesen siegbringenden Gürtel hier zu erhalten, der mich in jedem Kampfe siegen läßt. Dies alles aber tat ich nur, um Euch noch höheren Ritterruhm zu sichern! Ihr aber habt danach entrüstet mich and Euer Land im Stich gelassen. Doch jetzt bringt Euch schon dieser Habicht soweit, dass Ihr zum Ketzer werdet. Pfui, Schmach and Schande über Euch! Was ich tat, war menschlich and natürlich, doch Ihr verworfener Mensch seid zu widernatürlicher Unzucht bereit and schließt Euch damit sogar aus der Kirche aus! Dass Ihr wegen einer solchen Kleinigkeit Eure Ritterehre aufs Spiel setzen wollt, erfüllt mich mit gerechtem Zorn!”
Herr Konrad rief völlig zerknirscht: “Herzliebste Frau! Ich gebe mich ganz in Eure Hand! Liebste, makellose Gattin, vergib mir meine schlimme Verfehlung!” Da lachte sie: “Gut, ich tu’s nur allzugern, and ich will auch in Zukunft immer auf deinen Willen achten. Wir wollen uns versöhnen, zumal du recht wohl weißt, mein hoher Gebieter, dass du weit mehr Schuld auf dich geladen hast als ich. So nimm denn Habicht, Windhunde, Roß and Gürtel hin! Fortan wirst du im Kampfe immer siegreich sein.”
Beide brachen sofort auf and reisten glücklich zurück nach Schwaben. Daheim aber lebten sie fortan ehrbar, sittsam and in gegenseitiger Liebe zusammen. Nie mehr trübten Wolken den Himmel ihres ehelichen Glückes, and so lebten sie denn glücklich and zufrieden hundert Jahre bis an ihr seliges Ende.
Dietrich von Gletze hat diese Erzählung nach bestem Vermögen für ein ehrbares and gebildetes Publikum gedichtet, and er bittet alle Zuhörer um Nachsicht, denn besser vermochte er’s nun einmal nicht. Im Dienste edler Damen war er stets darauf bedacht, den Preis ihrer Tugendhaftigkeit and Lauterkeit zu singen. Heutzutage ist solch ein Streben allerdings selten geworden. Je nun, die Welt steht halt auf dem Kopf! Man kümmert sich keinen Deut um die Liebe, sondern jeder giert nur nach Geld and Reichtum. So ist denn wahre Liebe selten geworden. Das finde ich recht beklagenswert, denn wenn ein Mann, von echter, tiefer Leidenschaft erfüllt, dahinsiecht, dann helfen weder Gold noch Edelsteine. Doch ein einziger Kuss von zwei schwellenden Rosenlippen genügt, ihn von seinem Siechtum zu erlosen. So einem Kuss ist nichts auf der Welt zu vergleichen! Heil jedem Manne, der ihn durch treuen Dienst erringt! Er kann sich glücklich preisen! Was brauche ich schließlich Silber oder Gold, wenn ich mich der Neigung edler Damen sicher weiß. Es ist unbeschreiblich, wie sehr sie einen Mann beseligen, der ihnen seinen Dienst geweiht hat. Ihr Männer, laßt euch von mir belehren and tretet willig in den Dienst der edlen Damen! Ihre Rosenlippen and ihre Pfirsichwangen erlösen euch von aller Not. Gott schenke daher allen tugendhaften Edelfrauen seine Gnade! Das wünsche ich ihnen aus vollem, glückerfülltem Herzen.
Veranlaßt hat diese Dichtung der tugendhafte Frauendiener Wilhelm von Widena, and damit ist die Geschichte vom Siegesgürtel zu Ende. Heilige Jungfrau, sende dem Punzinger Trost and Hilfe, auf dass er von seiner Not erlöst werde.